SPON 10.08.2015

Spiegel-online: Studie über Politiker; Baritone bekommen mehr Wählerstimmen

DER SPIEGEL, Spiegel-online, 10.8.2015

Dass politische Wahlen selten allein mit Argumenten entschieden werden, ist eine Binsenweisheit: Gewählt wird am Ende, wem die Mehrheit schlicht das meiste zutraut. Und dabei spielen Signale eine wichtige Rolle, die mit sachlicher Kompetenz gar nichts zu tun haben.
Vermeintlich sichtbare körperliche Gesundheit gehört dazu, darüber hinaus die klassischen Merkmale eines Alphatiers: selbstbewusstes Auftreten, Attraktivität, Größe, demonstrative Stärke. Auch nur als “Alpha” zu erscheinen, kann schon im ganz normalen Berufsleben zu Lohnerhöhungen und Beförderungen führen.
Genau das wies im Jahr 2012 eine Forschergruppe um Casey Klofstad von der Universität Miami mit Kollegen von der Duke University nach. Junge Frauen, konstatierte die Forschergruppe damals, seien gegenüber älteren Männern benachteiligt – und zwar schon wegen ihrer Stimmen: Höhere Sprechfrequenzen würden demnach als weniger stark, vertrauenswürdig und kompetent wahrgenommen als tiefere.
Doch wie groß und wichtig ist dieser Effekt wirklich? Und beeinflusst er auch politische Entscheidungen?
Diesen Fragen ging die Forschergruppe nun in einer Folgestudie nach. Den Testpersonen wurden Sprechproben eines Sprechers vorgelegt, dessen Stimmfrequenz mit elektronischen Mitteln auf verschiedene Niveaus gehoben oder gesenkt wurde. Intonation, Akzent und andere Sprachmerkmale waren also in allen Hörproben identisch, nur die Tonhöhe variierte.
Dunkler scheint besser
In Testreihen mit einer männlichen und einer weiblichen Stimme ordneten die Probanden den jeweils tieferen Stimmen grundsätzlich häufiger positive, “starke” Eigenschaften zu als den helleren. Sowohl Frauen als auch Männer entschieden sich mehrheitlich für die tieferen Männer- und Frauenstimmen.
Bei den männlichen “Kandidaten” erschienen den Testpersonen, die mit tieferer Stimme sprachen, als

▪ stärker (Männer und Frauen: 72 Prozent)
▪ kompetenter (Männer: 62 Prozent, Frauen: 61 Prozent)
▪ älter (Männer: 78 Prozent, Frauen: 77 Prozent)

61 Prozent der Männer und 60 Prozent der Frauen entschieden sich für den “dunkleren” Kandidaten.

Bei weiblichen “Kandidaten” fiel dieser Effekt sogar noch stärker aus. Auch Frauen mit tieferer Stimme erschienen den Testpersonen als

▪ stärker (Männer: 74 Prozent, Frauen: 78 Prozent)
▪ kompetenter (Männer: 71 Prozent, Frauen: 76 Prozent)
▪ älter (Männer: 83 Prozent, Frauen: 84 Prozent)

67 Prozent der Männer und 76 Prozent der Frauen entschieden sich jeweils für die Kandidatin mit der dunkleren Stimme.

Der Idealpolitiker: 50, männlich, Bariton

Für Klofstad und seine Mitautoren kommen hier “Steinzeit-Instinkte” ins Spiel, aber auch die intuitive Wahrnehmung physiologischer Tatsachen: Die Stimmfrequenz sinkt im Laufe des Lebens, bis sie im Alter um 50 ihren Tiefpunkt erreicht. Zugleich sind tiefe Stimmen auch ein Indiz für erhöhte Testosteronwerte.
Sie zum einen mit Erfahrung, zum anderen mit Durchsetzungsfähigkeit im aggressiven Sinn zu verbinden, ist also nachvollziehbar.
Vernünftig ist es nicht. Vermeintliche physische Stärke als wichtiges Führungsmerkmal zu behandeln, sei nicht mehr zeitgemäß, so Klofstad: “In der modernen Welt geht es bei Führerschaft mehr um konkurrierende Anschauungen als um bloße Stärke.”
Wählen wir unser Führungspersonal also aufgrund falscher Kriterien?
Die Statistiken der Studie entwerfen eine Art idealen politischen Kandidaten: männlich, um die 50, tiefe Stimme. Im Experiment gewann so ein Kandidat seine Wahl in mehr als 80 Prozent der Fälle gegen einen Kandidaten mit hellerer Stimme. Besonders leicht zu schlagen waren dabei die vermeintlich jüngsten und ältesten Kandidaten.
Aber werden wirklich mehrheitlich Politiker mit tieferen Stimmen gewählt? Im Schnitt schon, behaupten Klofstad und Co: Laut Analyse der Wahlen zum US-Repräsentantenhaus 2012 gewannen tatsächlich mehrheitlich die Altstimmen und Baritone.
Was nur noch eine Frage offen lässt: Sind die Dunkelsprecher wirklich kompetenter und durchsetzungsstärker?
Eine Folgestudie, die das beantworten soll, haben Klofstad und Co bereits angekündigt. Klofstad: “Uns solcher Einflüsse bewusst zu werden, könnte uns helfen, sie zu kontrollieren und uns davon abhalten, schlechte Entscheidungen zu treffen.”