Berliner Morgenpost 02.05.2017

Artikel über meine Arbeit als Stimmtrainer

TIPPS FÜR DIE STIMME

Was jeder, der im Job spricht, über die Stimme wissen muss

Gesangscoach Torsten Schröder und Staatsopernsänger Dominic Barberi erklären, was jeder Politiker, Bäcker und Banker wissen sollte.

Von Volker Blech, 01.05.2017

Übungen für den guten Ton: Gesangscoach Torsten Schröder (r.) feilt an der Aussprache von Opernsänger Dominic Barberi

Die Stimme halten sie für eine Gabe, die die meisten Menschen erst wahrnehme wenn sie versagt. Torsten Schröder ist Musiktheater-Regisseur und in Berlin Stimmtrainer der Deutschen Vereinigung für Atemrhythmisch Angepasste Phonation. Zu seinen Schülern gehört der Brite Dominic Barberi, der seit August 2015 Mitglied des Opernstudios der Staatsoper ist. Er ist unter anderem der Sarastro in Mozarts “Zauberflöte”.

Haben erfolgreiche Menschen eine größere Stimme?

Torsten Schröder: Das hängt von der Situation und dem Selbstbild ab. Wenn e ein Politiker mit dem Brustton der Überzeugung daherkommt, kann das auch für etwas anderes stehen. Nämlich dass inhaltliche Sachen nicht stimmen.

Wie schlimm sind denn die Ähs beim Sprechen?

Torsten Schröder: Edmund Stoiber, der ehemalige Ministerpräsident von Bayer hatte fast in jedem Satz zwei oder drei Ähs. Dafür wurde er gehänselt. Das war Muster. Das Äh steht für eine Pause, die gefüllt werden möchte. Ich kann sie an füllen, indem ich über meine Atmung nachdenke. Aber es hat auch etwas Authentisches. Jeder hat mal einen Hänger und setzt ein Äh. Ich plädiere für da dosierte Äh.

Wer sollte Ihrer Meinung nach eine Stimmausbildung machen?

Torsten Schröder: Stimme bedeutet Kommunikation. Man denkt zuerst an Sänger oder Schauspieler. Aber auch Berufe wie Politiker oder ein Berater am Bankschalter brauchen Stimme. Jeder möchte verstanden werden und den anderen verstehen.

Hören Sie im Alltagsgeschehen sofort, ob jemand Sänger ist?

Dominic Barberi: Nein. Manchmal kommt ein Sänger und sagt betont unnatürlich “Guten Tag, da bin ich”. Damit wird nur ein Bild bedient.

Torsten Schröder: Es gibt klischeehaftes Sprechen auch bei jungen Mädchen, die so sein wollen wie die Starlets, denen sie nacheifern. Da wird genuschelt oder gehaucht. Damit wird aber nur ein Bild adaptiert. In der Stimmausbildung geht es darum, dass man zu seiner Stimme findet. Meine Stimme ist so unverwechselbar wie der Fingerabdruck. Es ist die Frage der Authentizität.

In deutschen Filmen wird gern geschrien oder genuschelt?

Torsten Schröder: Das stimmt, wenn man es mit Filmen aus den 50er- oder 60 Jahren vergleicht. Die Schauspieler haben eine Artikulation, die nach vorne geht. Heute wird viel hinten im Hals gesprochen. Die modischen Erscheinungen, um eher supercool zu wirken wie im “Tatort”, bringen viel Unverständlichkeit mit sich. Es hat nicht immer mit der Rolle zu tun, sondern es ist ein Nuscheln, weil sich viele keine Mühe mehr geben. Wenn Sie beim Bäcker einkaufen gehen und die Bestellung nuscheln, bekommen Sie das Falsche. Sie müssen verstanden werden. Im Film wird häufig nicht mehr an den Adressaten gedacht.

In der Oper gibt es inzwischen Übertitel, bei denen der Zuhörer den Text mitlesen kann.

Dominic Barberi: Wenn ich auf der Bühne stehe, geht es darum, meine Gefühl transportieren. Der Zuschauer muss es mitfühlen können. Die Übertitel sind hilfreich, die Geschichten zu verstehen. Aber keiner im Publikum muss hinschauen.

Torsten Schröder: In der Oper geht es um den Ausdruck, das ist auch Artikulationsarbeit. Nicht die Ahs und Ohs, sondern die Konsonanten sind die Transporter, die die Stimme nach vorne bringen. Je mehr Konsonanten ich als Zuschauer höre, desto mehr Text verstehe ich. Auch beim Sprechen müssen wir Konsonanten stärker betonen. Wenn der Konsonant platzt, ist der Vokal schon da.

Was ist Ihre liebste Übung?

Torsten Schröder: Meine Lieblingsübung ist eine Körperübung. Man richtet den Oberkörper auf wie beim Klappmesser und singt ein Oh wie in Mond. Dabei kann der Lernende die Entwicklung des Tones verfolgen. Er kann spüren, wie sich die Muskulatur im Körper anspannt und was es am Ton verändert.

Dominic Barberi: Für mich sind es die Atemübungen. Die Stimmkraft entscheid sich über den Atem und die Stütze. Kraftübungen im Fitnessstudio bringen garnichts, im Gegenteil, man verkrampft eher.

Torsten Schröder: Kraftübungen sind ein männliches Bild. Das Studio vibriert beim Stemmen und Stöhnen. Dabei entsteht auf den Kehlkopf ein enormer Druck, den wir in der Stimmarbeit nicht erzeugen wollen. Der Kehlkopf muss frei arbeiten können.

Welche Sportarten tun der Stimme gut?

Torsten Schröder: Ich favorisiere das Joggen, weil es dem Zwerchfell guttut. Der Läufer hat Kontakt mit dem Boden, die Impulse fließen durch den Körper. Dazu kommt der Laufrhythmus, der sich dem Atemrhythmus angliedert. Es geschieht von selbst.

Dominic Barberi: Ich schwimme gern. Der Körper fühlt sich leichter. Die Bewegungen haben ebenfalls etwas Rhythmisches.

Es heißt, gerade Wagner-Sänger brauchen vor allem Körperfülle als Resonanzkörper?

Dominic Barberi: Ich war früher dicker, das ist für die Resonanz schon gut. Aber der Mensch ist kein Megafon. Letztlich kommt die Stimmkraft nicht aus dem Bauch sondern dem Hals heraus. Richtig ist, für Vier-Stunden-Opern braucht man als Sänger viel Kraft.

Torsten Schröder: Ich fasse es in einem Satz zusammen: Fett klingt nicht.

Was ist der größte Fehler für die Stimme?

Torsten Schröder: Räuspern. Viele räuspern vor Beginn des Sprechens oder Singens. Es ist wie eine Befreiung. Aber wovon muss man sich befreien? Von gar nichts. Um etwas aus dem Hals heraus zu katapultieren, dafür haben wir Reflexe. Räuspern ist ein psychologisches Problem. Es geht darum, einer Situation gewachsen zu sein. Stimmbildung hat viel mit Entspannung zu tun. Auch Weinen entspannt.

Sänger sollen nicht rauchen, Alkohol meiden, nicht Cabrio fahren …

Dominic Barberi: … keinen Kaffee und keinen Orangensaft trinken. Aber man will doch bei allem leben können. Es gibt viele berühmte Sänger, die rauchen. Schreien ist aber nicht gut, flüstern ist hilfreich.

An welche großen Stimmen denken Sie als Erstes?

Dominic Barberi: Der Bariton John Tomlinson spricht genauso wie er singt. Man hört seine Größe. Eine große Stimme hat derjenige, der etwas zu sagen hat und dem wir gerne zuhören wollen.

Torsten Schröder: Der “Tagesschau”-Sprecherin Susanne Daubner höre ich immer gerne zu. Das ist eine Frau, die auf einer indifferenten Lage ihre Stimme gebildet hat. Bei den Schauspielern mochte ich Hans Clarin. Der hatte den Pumuckl gesprochen und dazu seine Stimme ins Falsett getrieben. In seiner normalen Sprechlage hatte er einen runden Ton.

Download: Was jeder der im Job spricht über die Stimme wissen muss Wissen Berliner Morgenpost